Projekt für Lese- und Schreibschwache im Job

Chance zur beruflichen Qualifizierung

KREIS GROSS-GERAU – Den Schulabschluss haben sie in der Tasche, häufig eine Lehre absolviert und auch im Job sind sie gut dabei – aber ganze Sätze oder Texte zu schreiben und zu verstehen, mitunter sogar einzelne Buchstaben zu Wörtern zusammenzufügen, gelingt ihnen nicht oder nur mit Mühe. Mehr als sechs Millionen Menschen haben in Deutschland Probleme beim Lesen und Schreiben. Die Kreisvolkshochschule Groß-Gerau (KVHS) und die Volkshochschule Region Kassel (VHS) haben jetzt ein Projekt gestartet, um sogenannte „gering Literalisierte“ gezielt am Arbeitsplatz zu unterstützen.

Friedrich Lammers (VHS Region Kassel) und Silvia Parra Belmonte (KVHS) haben in einer Online-Konferenz das Projekt nun vorgestellt. Die KVHS legt dabei das Augenmerk auf die „arbeitsweltorientierte Grundbildung“ im Kreis Groß-Gerau. „Wir möchten Lernangebote und Formate entwickeln und erproben, die sich im betrieblichen Umfeld anwenden lassen“, sagt Parra Belmonte, die als stellvertretende Betriebsleiterin auch den Fachbereich Arbeit und Beruf der KVHS leitet. Dazu hat die KVHS die Stadt Raunheim sowie den Fachdienst Wirtschaft im Fachbereich Regionalentwicklung bei der Kreisverwaltung mit ins Boot geholt. Interessierte Betriebe aus dem Kreis können sich jetzt bei der KVHS melden.

Grundbildung, erläutert Parra Belmonte, umfasse ein ganzes Bündel an Kompetenzen, die für eine Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben notwendig seien. Defizite im Bereich Literalität (Schriftsprache, digitale und interpersonale Kommunikation) entlang beruflicher Themen aufzuarbeiten, sei das vorrangige Ziel des Projekts. Vermittelt werden dabei zum Beispiel auch Grundkenntnisse in IT. „Die Lernenden sollen in Kooperation mit den Betrieben befähigt werden, sich unter anderem als Fachkraft weiter zu qualifizieren. Für den Kreis ist das ein wichtiger Beitrag zur Arbeitskräftesicherung“, sagt Parra Belmonte.

Was bedeutet es, nicht richtig lesen zu können? Viele Dinge im Alltag und im Beruf stellen sich als Hürden dar: Digitale Zeiterfassungstools der Firma können nicht richtig genutzt werden, Online-Banking bleibt verschlossen, auch die interne Kommunikation per Mail klappt eher schlecht. Andererseits sind viele in der Lage, diesen Mangel an Lese- und Schreibkompetenz geschickt zu verbergen. Sie setzen zum Beispiel eher auf mündliche Kommunikation und füllen Formulare lieber zu Hause aus, wo sie Hilfe haben.

Rund 62 Prozent der Menschen, die schlecht lesen und schreiben können, sind im bundesweiten Durchschnitt erwerbstätig. Sie arbeiten überwiegend im Niedriglohnsektor. 76 Prozent haben einen Schulabschluss, 46 Prozent eine Beschäftigung, die keine Ausbildung erfordert, 52 Prozent sind deutsche Muttersprachler*innen. Im Kreis Groß-Gerau, wo viele Firmen aus dem Bereich Logistik und Transport ihren Sitz haben, verfügen 42,5 Prozent über einen Migrationshintergrund. Grundbildung schafft Perspektiven – hier setzt das Projekt der KVHS an.

„Alphabetisierung, Schrift- und Sprachenerwerb, Medienkompetenztraining, Politik und Gesundheit – wir bieten in der Grundbildung einen bedarfsorientierten Angebotsmix“, so Parra Belmonte. Regionale Netzwerke stärken, Beratung ausbauen, Zusammenarbeit mit Lehrkräften stärken – das sind Ziele der bis 2025 vom Land geförderten Kooperation der beiden Volkshochschulen. Nach dem Vorbild Kassels plant die KVHS zum Beispiel ebenfalls ein „Grundbildungstelefon“, wo Erwachsene schnell und unbürokratisch Unterstützung finden.

Für Betriebe will die KVHS ein exklusives und passgenaues Angebot auflegen. „In der Bäckerei kann es notwendig sein, das Textverständnis entlang des Gebrauchs der Teigmaschine zu schulen, in der Logistik sind vielleicht Texte wichtig, welche die Lagerung bestimmter Güter beschreiben“, sagt Parra Belmonte. Sie weiß, dass dieses Thema schambesetzt ist. „Wir möchten den Lernenden auf Augenhöhe begegnen. Vor uns sitzen oft sehr kluge, pfiffige, selbstbewusste Menschen mit viel Power.“

Kontakt: Kreisvolkshochschule Groß-Gerau, Silvia Parra Belmonte, Telefon 06152/1870-104, silvia.parra@kvhsgg.de

(PS)

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